Während die Sportlichen schon früh am Morgen ihre Runden drehen, haben einige der älteren Herrschaften es sich bereits vor dem Frühstück zum ersten Schläfchen in der Sonne bequem gemacht. Das Schiff lässt sich nicht beirren und fährt stur in Richtung Uljanowsk.
Heute ist der 9. Mai, der "Tag des Sieges", ein wichtiger Feiertage in Russland, und wir werden ihn in Lenins Geburtsstadt verbringen..
Aus dem Lautsprecher ertönen die Fakten über die uns heute zu erwartenden Ereignisse, sowie Daten und Fakten zur Stadt und Region. Leider reihen sich Wichtiges und Unwichtiges in ziemlich monotoner Gleichmäßigkeit aneinander. Ich schalte mein Gehirn ab. Es ist mir zu viel und kommt zu schnell. Draussen gibt es viel zu sehen. Hinter den vielen Kränen liegt der Flusshafen, und vom Schiff aus erkennt man ein paar Häuser von Uljanowsk.
Die vor fast 400 Jahren als Festung gegründete Stadt hieß bis zu Lenins Tod 1924 Simbirsk.
Die Umbenennung von Städten war in Russland seit der Oktoberrevolution 1917 in Mode. Manche mussten mehrfach dran glauben, nur weil gerade ein hochverehrter Genosse der Stadt geehrt wurde. Manche erhielten ihre alten Namen zurück. Simbirsk mit seinen jetzt mehr als 600.000 Einwohnern war nicht dabei.
Uljanowsk liegt strategisch günstig auf etwa 80 Meter über dem Wolgaufer. Das war ideal, um etwaige Angreifer abzuwehren, da man stromauf- und abwärts die Wolga überblicken konnte.
Die Stadt breitet sich zu beiden Seiten des Kuibyschewer Stausees, des größten Europas und des drittgrößten weltweit aus, überwiegend am rechten Ufer. Der Stausee ist 600km lang und hier bis zu 20 km breit!
Luftlinie sind es 700 km bis nach Moskau, auf 25 Stunden Fahrtzeit mit der Eisenbahn -der Weg ist länger- muss man sich einrichten.
Die Stadt ist ein heute bedeutendes Industriezentrum, auch deutsche Firmen wie z.B. Schaeffler sind mit dabei.
Wie auch in Samara, so gab es hier ein Lager für deutsche Kriegsgefangene, das Lager Nummer 215.
In der Region gibt es 29 "Siedlungen städtischen Typs" Den Ausdruck höre ich täglich aus dem Lautsprecher. Um diesen umständlichen Begriff für mich zu klären, habe ich einmal Wikipedia befragt. Hier die Antwort:
Die Siedlung städtischen Typs ist von der Größe her eher dem Dorf zuzuordnen, von seiner Infrastruktur jedoch städtisch, beispielsweise durch mindestens eine große industrielle Ansiedlung. Merkmal war bei der Definition meist, dass der wirtschaftliche Schwerpunkt des Ortes nicht in der Landwirtschaft lag.
Ist jetzt alles klar?
Wir steigen um 10 Uhr in den Bus und sind gespannt, ob wir von den landesweiten Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Kapitulation etwas zu sehen bekommen.
Er ist schon früh unterwegs. |
Bereits bei dem Weg zur Innenstadt herrscht dichtes Gedränge überall. Mit Blumensträußen oder Luftballons in den Landesfarben in den Händen strömen die Menschen zur Parade. Wer noch nichts davon hat, kann sich am Wegesrand eindecken.
Die vorgesehen Routen kann der Bus nicht nehmen. Überall sind Absperrungen. Glückliches Aufstöhnen ist im Bus zu hören, als die örtliche Reiseleiterin fragt, ob wir gut zu Fuß seien. Dann dürften wir jetzt aussteigen. Es sei nämlich kein Durchkommen mehr mit dem Bus.
Ausrüstungsmäßig können wir natürlich nicht mithalten, keiner von uns hat ein militärisches Kleidungsstück, eine Flagge, oder ein (Kunststoff-) Gewehr dabei.
Wenn ich mir die Kinder anschaue, fühle ich mich fast wie in einer fremden Welt. Das ist eine total andere Sozialisation als ich sie kenne, und die läßt sich nicht oft so geballt erleben wie heute.
Alles strömt zur Parade, der Geräuschpegel hat sich schon erheblich erhöht. Wir werden in eine bestimmte Richtung dirigiert und können dem Treiben ein wenig zuschauen.
Die Bahn fährt in einer Endlosschleife durch die Stadt. |
Auch Genosse Stalin ist mit von der Partie. |
Ich kann meinen Hals lange recken, näher komme ich nicht ran... |
Riesige Bildschirme übertragen die Parade. |
Die Aufmärsche scheinen kein Ende zu nehmen. |
Mal treiben die Rauchschwaden von den Grillstationen in unsere Richtung, dann kommen die Allerkleinsten schon uniformiert daher, reiten auf Ponys mit Petticoat oder Flügeln und kriegen ihre ersten Lektionen über Patronenhülsen. Aber auch in Kutschen kann man sich heute herumfahren lassen!
Die Kappe gab es wohl in der gut sortierten Babyabteilung. |
Viel wird nicht gegrillt, dafür raucht es um so mehr. |
Fähnchen gibt es an vielen Ständen, die Mützen offenbar auch. |
Das Pony macht alles mit. |
Auch den Petticoat trägt das Pony mir Würde. |
Mit solchen Flügeln schwebt man fast! |
Die jungen Männer warten auf etwas, und einer hat eine Idee. |
Der kleine Kerl soll die Gewehrpatrone anfassen und bestaunen. |
Mama fotografiert, aber trotz Verstärkung ist ihm das Ding nicht geheuer. |
Diese Herren sammeln sich gerade. |
Und jetzt geht's los zum Platz. |
Wir gehen in die andere Richtung, voll ist es überall. |
Einer von mehreren Bücherständen. |
Mutter Heimat aus Kacheln macht auch einen interessanten Eindruck. |
Auf den breiten Strassen tummeln sich Traumkutschen. |
Gold oder lieber Rot gefällig? |
Raketenwerfer und sonstiges Gerät |
Die Geräusche der Motoren wirken befremdlich auf mich. Gänsehaut... |
Lockende Angebote gibt es unter dem Erinnerungsfoto. |
Die Auswahl ist groß. |
Manche Kinder haben auch ohne Militarylook ihren Spaß. |
Der riesige Betonklotz gegenüber ist unser Ziel, das Lenin- Museum, oder auch "Memorialkomplex W. I. Lenin" genannt, das während der Breschnewzeit 1970 eröffnet wurde. Der wurde genau da errichtet, wo sich früher der mächtige hölzerne Kreml von Simbirsk befand.
das Lenin Museum auf großem Platz |
Die Vitrinen sind vollgestopft, die Wände reichlich behangen. Rot ist die dominierende Farbe, und ein wenig schummrig ist es. |
der Revolutionär bei der Arbeit |
Diorama des historischen Simbirsk |
Simbirsk vor den verheerenden Bränden |
die Hauptperson |
Am oberen Ende der Stufen kommt man in eine Art Kathedrale. Lenins Statue ist hier sorgsam in Folie verpackt. Der Raum wartet auf seine Renovierung. An diesem feierlichen Ort wurden Studenten und Schülern ihre Auszeichnungen verliehen.
Genau gegenüber könnte Lenin(1) den Lenin (2) anschauen, wenn der eine nicht verpackt wäre. Eine Wärterin möchte unbedingt ein Foto machen von mir. Warum nicht?
Jetzt wird das Licht noch sparsamer. Wir durchlaufen die Ausstellung mit vielen Kriegserinnerungen.
Der Weg führt die Treppe runter und direkt zu den Souvenirs...
Wir haben unseren Zeitplan, es geht raus und warten draußen auf den Bus, der zusehen muss, wie er die Absperrungen umgeht. Wir sind ja nicht mit einem militärischem Fahrzeug unterwegs...
Die Strassenbahnen sehen schon etwas mitgenommen aus, verkehren aber in kurzen Abständen flott durch die ganze Stadt auf der rechten Wolgaseite. Linksseitig sind Trolleybusse unterwegs.
Ob ich nun wissen muß, wo Lenin in die Schule ging, wo er seine Bibliothek hatte und in welchen sechs Häusern er zur Miete wohnen musste, bis sich seine Eltern endlich ein Haus kaufen konnten, das bezweifle ich.
Aber in der Strasse, in der sich das gelbe Haus befindet, in dem er 10 Jahre seines Lebens verbracht hat, hätte ich mich gerne etwas länger umgesehen. Hier stehen einige schöne historische Holzhäuser, in denen die "besser gestellten Leute" der Stadt wohnten, zu denen auch Lenins Familie gehörte.
Durch das Gebäude geht es hindurch, wie man am Andrang sieht...
Im Garten stehen ein paar Nebengebäude.
In diese Laube soll sich die Familie zum abendlichen Singen zurückgezogen haben.
Nun wird es Zeit zum Aufbruch. Ich kann mir vorstellen, dass die Reiseleiterin noch zur Parade möchte. Daher erreichen wir das Schiff auch gut eine Stunde bevor die angekündigten 4 Stunden Ausflug um sind, die aber vorsichtshalber auch immer als ungefähre Zeiten angegeben sind...
Von der Innenstadt haben wir so gut wie gar nichts gesehen, es reicht gerade noch für ein paar Blicke aus dem Bus.
Es gäbe noch genug zu sehen, irgendwie bin ich frustriert.
Uljanowsk wird bestimmt nicht mein Favorit dieser Reise werden! Ob es besser gewesen wäre, wenn wir an einem anderen Tag gekommen wären, oder wenn wir die Feierlichkeiten hätten erleben können, das kann ich natürlich nicht erraten.
Am Schiff angekommen, stehen schon die Gäste vom Nachbarschiff bereit, um in die Stadt zur Parade zu fahren. Ihre "Ausrüstung" haben sie schon dabei.
Zeit bis zur Abfahrt bleibt nun reichlich. 5 Stunden müssen auf dem liegenden Schiff vertrödelt werden!
Leider liegt der Flusshafen sehr abgelegen. Es gibt keine Verbindung in die Stadt. Durch das hohe Wolgaufer kann man die Stadt vom Ufer aus nicht einmal sehen. Eine Uferpromenade ist hier auch nicht ausgebaut. Alles sehr schade!
Nach dem Essen mache ich einen ausgiebigen Mittagsschlaf. Um 17.00 geht es weiter. Ziel: Kasan.
Heute gibt es ein Feiertagsessen!
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