Dienstag, 7. Mai 2019

Saratov - Heimat vieler Wolgadeutscher

7.5.19

Fast 400 km sind es von Wolgograd bis Saratov, das am rechten, hügeligen Ufer des Wolgograd Stausees an der mittleren Wolga liegt, die hier eine Breite von circa 3 km und eine durchschnittliche Wassertiefe von 9 Metern hat. Mit der Stadt Engels ist Saratov durch eine knapp 3 km lange Brücke verbunden, die kurzzeitig die längste Brücke Europas war.
Aber zuerst müssen wir unter Saratovs Eisenbahnbrücke von 1935 hindurch. Der Hafen für die Fluss-Schiffe liegt dann kurz vor der Saratov- Brücke. Unsere Liegezeit: 9.30 - 14.00. Fast alle Kreuzfahrtschiffe verbringen hier nur einen halben Tag.



Die andere Brücke liegt vor uns, unser Schiff muss erst einmal geputzt werden, bevor es ihr ganz nahe kommt..


Das ganze Gebiet war seit dem 18. Jahrhundert Siedlungsgebiet der Wolgadeutschen, die dem Aufruf der Zarin Katharina II. gefolgt waren. 1926 waren fast 90% der Bewohner Saratovs ethnisch Deutsche.
Für eine Reihe von Jahren gab es die Wolgadeutsche Autonome Republik, deren Hauptstadt bis 1941 die Stadt Engels war. Im Rahmen der politischen Ereignisse änderte sich der Status, und fast alle deutschstämmigen Bewohner wurden aus ihrer Heimat verbannt. Überwiegend landeten sie in Sibirien oder anderen östlichen Gebieten. Viele überlebten die Strapazen nicht.


Wir machen eine kleine Stadtrundfahrt und landen zuerst auf dem großen Platz, an dem sich verschiedene Sehenswürdigkeiten und auch das staatliche Konservatorium befindet. Besichtigt werden kann es nicht, aber das neogotische Jugendstilgebäude läßt sich geduldig fotografieren.
Vorher werden wir aber an den 9. Mai erinnert.

die Plakate sind allgegenwärtig
das Konservatorium
interessante Stadtgeschichte ab1590 auf Schautafeln - man drängelt sich...
Verlängerung der Fußgängerzone in Richtung Wolga
Fußgängerzone
...erst die Erinnerung auffrischen, dann in den Lipki- Park gehen
"Lindere meinen Kummer" ist der Name der kleinen Barockkirche
...ihr Äußeres soll eine Miniaturausgabe der
Moskauer Basiliuskathedrale darstellen 
Der Bus fährt jetzt durch die Stadt hinauf auf die höchste Erhebung hier, den Falkenberg.


Vorbei geht es durch weniger touristische Ecken an windschiefen Häusern und Wohnblocks mit bröckelnden Rohren für die Fernheizung.





...Erinnerung an den 9. Mai an der Bushaltestelle...
Von ganz oben soll man einen schönen Blick über Saratov haben. Ausserdem befindet sich hier das "Freilichtmuseum für Militärtechnik", wie es im Reiseführer zu lesen ist. Eine für mich eher abwegige Bezeichnung...




Zum 30. Jahrestag des Sieges über Hitlers Armee wurde das Areal angelegt. Andere Bezeichnungen lauten: Staatliches Museum des Militärischen Ruhmes. In der Bevölkerung soll er "Park des Sieges" heißen. Diese Bezeichnungen finde ich allesamt passender.
In einer Art Volksparkatmosphäre mit Würstchenbude, Eis- und Spielzeugverkauf tummeln sich Besucher und Einheimische.



Diverses Kriegsgerät aus dem "Großen Vaterländischen Krieg" wird ausgestellt und dient den Kindern zum Klettern und zur frühzeitigen Begeisterung für alles was mit Militär zu tun hat. Von den knapp 200 Exponaten scheint bei den Kindern besonders der Lazarettzug und das Kanonenboot beliebt zu sein.





Ich nehme an, dass dies unten der legendäre russische Panzer T-34 ist, der den Deutschen ab Juli 1941 schwer zu schaffen machte. Aber so richtig kenne ich mich da nicht aus...


Die Statue mit der Glocke ohne Klöppel, die mir schon auf dem Wolgograd Friedhof begegnet ist, kann ihre Meinung zu alldem nicht kundtun.

zum Stummsein verdammt
Erinnerungsfoto bei Raketenwerfern und anderem Militärgerät
spannendes Kriegsgerät als Alternative zum Klettergerüst

Hat man den militärischen Teil hinter sich gebracht,  gibt es einen Rundweg. Der führt vorbei an der ewigen Flamme der Erinnerung und über viele, nach Jahren (1941-1945) und in Abschnitten geordnete Stufen hinauf zum Monument der Kraniche. Die Kraniche symbolisieren die Seelen der im Krieg gestorbenen Soldaten.






Von oben hat man einen tollen Blick über die Stadt bis zur Wolga, der Saratov- Brücke und Engels.


Noch einmal geht es zurück bis zur Markthalle, wo man uns ein bisschen Freizeit gönnt, um den Kirow- Prospekt  -die ehemalige Nemetzkaja (Deutsche Strasse)-  bis zum Konservatorium zu spazieren.
In der gut mit Waren gefüllten Markthalle empfinde ich eine deutliche Abneigung gegen Urlauber. So unfreundlich wie auf diesem Markt sind uns bislang nirgendwo die Menschen begegnet. Keine Ahnung, wieso. Die Touristensaison hat gerade erst begonnen, also so richtig genervt können sie ja eigentlich noch gar nicht sein.












Bei Hasen ist es offenbar wichtig, zu sehen, welche Fellfarbe er hatte. Oder geht es vielleicht darum, dass einem auch Hühnchen oder sonst was als falscher Hase angedreht werden könnte?


Die schönsten Trockenfrüchte lassen mich kalt, nachdem ich vor Jahren schon einmal auf einer Russlandreise Trockenfrüchte gekauft und gleich gegessen hatte. Die Wirkung kam damals prompt und sehr heftig...

Jetzt geht es raus in die Fußgängerzone! Dort gibt es viele historische Gebäude, die gut renoviert erscheinen. Cafés und Restaurants laden diejenigen zum Verweilen ein, die genug Zeit haben.







Der Akkordeonspieler ist besonders bekannt, aber er gibt noch mehr Statuen.


Klassisches Ballett und Theateraufführungen spielen in Russland noch eine bedeutendere Rolle als bei uns. Das Angebot ist vielfältig und sehr gut!

Zurück am Schiff mache ich gleich am Bus die Kurve und gehe auf Erkundungstour. Schließlich habe ich noch etwas mehr als eine Stunde Freiheit!







Ich entdecke nicht nur ein älteres Paar mit ordenbehangener Brust, sondern auch die Türme der russisch- orthodoxen Dreifaltigkeits- Kathedrale, an der wir morgens 2x mit dem Bus vorbeigefahren sind, und siehe da, auch andere Reisende vom Schiff hatten die Idee, hierher zu spazieren.










An jeder Ecke entdecke ich draußen interessante Gebäude, aber ich muss zurück zum Schiff. Für einen kleinen Spaziergang an der Wolga reicht es gerade noch.

Dies ist nur eine Mauer, vielleicht gehörte sie einmal zu einer Kirche?



Heute gehen mir die vielen Plakate doch ein wenig auf die Nerven. Wirklich jeder hier weiß um diese Daten. Seit nunmehr 74 Jahren wird dieser Tag mit unverminderter Erinnerungswucht gefeiert. Militärparaden finden im ganzen Land statt. Teilweise, jedenfalls etwas abseits der Paraden, nimmt es fast Volksfestcharakter an. Das Land wird geputzt, geschmückt, hergerichtet.
Auch wenn ich Verständnis dafür habe, dass man die Leiden des Krieges nicht in Vergessenheit geraten lassen will, verstehe ich nicht, dass wirklich an jeder Ecke ein Plakat hängt. Ich glaube kaum, dass hier ein einziger Mensch diese Daten nicht kennt!
Mit der Zeit lösen sie bei mir ein regelrechtes Beklemmungsgefühl aus, sodaß ich mich fast genötigt sehe, den Kopf einzuziehen. Grund dafür habe ich allerdings nicht. Fast überall sind mir freundliche, hilfsbereite Menschen begegnet, und schlecht gelaunte Personen gibt es überall auf der Welt.
Vielleicht verstehe ich auch zu wenig davon und das Alles sollen eigentlich Märsche für einen wirklich dauerhaften Frieden unter den Völkern sein. Dann allerdings sollten noch viel mehr Plakate aufgehängt werden!


Jetzt hätte ich gerne ein schönes Foto mit Landschaft gehabt, aber der nette Herr aus einer Gruppe von Wolgadeutschen, die jetzt im Ruhrgebiet leben, hat es allzu genau genommen. Der ganze Schriftzug SARATOV sollte auch mit aufs Bild, darum bat ich...



Macht nichts. Ich muss mich sowieso jetzt ranhalten.





Nachmittags verfalle ich wieder in einen Tiefschlaf. So bekomme ich nicht mit, dass wir, nachdem wir Saratov und Engels verlassen haben, auch an Marx vorbeifahren.
Wirtschaftlich gesehen ist die Gegend insofern interessant, dass Bosch, Henkel und andere bekannte Firmen hier bestimmte Waren produzieren.

Irgendwo 26 km südwestlich von Engels entfernt landete übrigens Juri Gagarin im April 1961nach seinem ersten Raumflug, der Erdumrundung in 108 Minuten, in der Kasachischen Steppe. Ich kann mich gut daran erinnern. Das wurde mit Spannung am Radio verfolgt oder man konnte es in "Fox Tönende Wochenschau" im Kino sehen, denn einen Fernsehapparat hatten wir noch lange nicht.

Gemütlich fahren wir auf dem großen Stausee weiter, nächstes Ziel ist Samara. Die Landschaft ist wunderschön, besonders in der Abendstimmung. Die Ufer sind ungewöhnlich geformt. Steilhänge mit sanften Hügeln, die immer wieder tief eingeschnitten sind. Gelegentlich kommen bewaldete Abschnitte in Sicht.  Ab und zu kommen kleine Ansiedlungen in Sicht und einmal entdecke ich ein Kreuz auf einer Anhöhe. 


kleines Dorf im Abendlicht
Wald und Steppe
mit guten Augen erkennt man das Kreuz rechts auf der Anhöhe
die Bäume scheinen in der Sonne zu verglühen
faszinierender Sonnenuntergang...
In der Dunkelheit passieren wir unsere 20. Schleuse und bewegen uns damit heraus aus dem Wolgograd Stausee in den Saratower Stausee, einem der größten der Erde.

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