Mittwoch, 8. Mai 2019

Samara, nicht nur Heimat des Lada

8.5.19

Sobald das Schiff die 434 km von Saratov nach Samara geschafft hat, steht eine Stadtrundfahrt an.
Aber zunächst einmal gibt es eine interessante Brückenführung und viel Wasser mit nicht ganz so viel Landschaft.


Bei den vielen Stauseen, die sich aneinanderreihen und von denen mir einer größer als der andere erscheint, komme ich langsam durcheinander. Zwar liegt es auf jeden Fall an der Wolga, aber ob es im Bereich des Kujbyschewer, Rybinsker Stausee oder doch Saratower Stausee liegt?  Beim Versuch, Klarheit in meinen Kopf zu bekommen, ist Google nicht behilflich, sondern verwirrt mich nur noch mehr. Meistens lese ich: Kujbyschewer  Stausee. Aber ich frage mich auch, warum ich das eigentlich so genau wissen will. Kein Wunder, dass ich mit dem Aufschreiben meiner Notizen nie fertig werde...

Die Landschaft am Ufer ist immer noch ähnlich spannend wie gestern, allerdings sind ein paar mehr Dörfer in Sichtweite. Die steilen Ufer haben teilweise gefährlich wirkende Abbruchkanten, in deren Nähe noch Häuser stehen. 
Die Wolga bildet hier eine Schleife von 180 Grad und hier, an ihrem östlichsten Punkt, liegt Samara.
Von Samara aus flussaufwärts -wie wir fahren-  sind wir immer noch in einem Gebiet, in dem die Wolgadeutschen sich um 1775 ansiedelten. Südlich grenzt das Gebiet bereits an Kasachstan.
Heute ist Samara die sechstgrößte Stadt Russlands , hat über eine Million Einwohner, war bis 1991 Sperrgebiet für Ausländer und ist eine wichtige Industriestadt. In der Nähe wird der Lada produziert. Bis 1999 konnte man bei uns als Neuwagen das Modell "Lada Samara" bestellen. Auch Linde und Bosch betreiben hier Produktionsstätten.
Die Gegend hat ausserdem einen großen Nationalpark zu bieten, den Samaraer Luka. Ich nehme an, dass die eigenartig geformten Uferlandschaften vielleicht auch ein typischer Teil der zum Nationalpark gehörenden Landschaft sind.


Die bunten Häuser sehen von weitem aus, als hätte man sie aus einem Baukasten heraus in die Landschaft gesetzt. 



Ein geschlängelter Weg führt von der kleinen Kirche am Wasser hoch bis zu dem etwas windschief wirkenden Kreuz. Eigentlich war ein Kloster angekündigt. 




Die "Spielzeugdörfer" spiegeln mehr Idylle vor, als tatsächlich vorliegt. Die Industrieruinen könnten darüber bestimmt Geschichten erzählen.


Endlich kommt das große Kloster in Sicht. Es sieht so aus, als sei alles gerade erst erstanden. In seiner Größe wirkt es auf mich fehlplaziert. Da gefällt mir die kleine Kirche unterhalb des Bergkreuzes erheblich besser. Die Russisch Orthodoxe Kirche in Russland soll über enorme finanzielle Mittel verfügen und überall mit der Wirtschaft verwoben zu sein. Offenbar fallen da neue Kirchen und Klöster nicht ins Gewicht.  


Kleine regionale Ausflugsboote fahren verschiedene Wolgastrände an, an denen oft auch Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung angeboten werden. 
Was das Angeln anbetrifft, so braucht man dazu keine Vorkehrungen. Ich habe den Eindruck, dass immer und überall die Angelroute ausgepackt wird.


Je höher wir in den Norden kommen, desto mehr Birkenwälder  tauchen an den Ufern auf.


Wasservögel habe ich nur selten entdeckt und auch nur einen einzigen Vogelzug, obwohl es meiner Meinung nach davon mehr geben müsste.


Irgendwann nach dem Mittagessen kommen wir in Samara an.
Die Wolga ist hier etwa einen Kilometer breit und während des Winters etwa 5 Monate zugefroren, sodaß sogar das Fahren mit Autos auf dem Eis erlaubt wird. 40 cm bis 1m dick soll dann das Eis dick sein. Als Transportmittel setzt man gerne Luftkissenboote ein. 
Ein Loch zum Eisbaden wird selbstverständlich immer frei gehalten.

Für unsere Stadtrundfahrt sind zweieinhalb Stunden angesetzt. Danach gibt es immerhin noch etwa 2 Stunden Freizeit, bevor man auf dem Schiff sein muss.

Immer an der Wolga entlang erreicht man rasch die Shiguli- Brauerei. Sie wurde 1881 von einem österreichischen Adligen gegründet, und ihr Bier ist bis heute in ganz Russland bekannt.
Gleich daneben steht ein Heizkraftwerk, das seine riesigen Rohre gleich über die Strasse gehängt hat.

die historische und noch aktive Shiguli- Brauerei

Heizkraftwerk... ob die Luft gleich mit gewärmt wird?
auf der Anhöhe: das Dramentheater
...eines der unzähligen Plakate und dahinter eine neue Kirche...
Wir fahren zunächst zur Original Sojus Rakete, die zum Kosmosmuseum gehört. Die Raketen werden hier in Samara, im russischen Zentrum für Luft- und Raumfahrt konstruiert und gebaut.
Juri Gagarin umrundete 1961 als erster Mensch vollständig einmal die Erde und landete in der Nähe von Engels. Aber von Samara aus soll er sich telefonisch in Moskau zurückgemeldet haben.
Trotz aller wirtschaftlichen Sanktionen kann man am Beispiel Raumfahrtindustrie sehen, was Sanktionen letztendlich bedeuten.
Die USA kaufen z.B. weiterhin in Russland die Teile, die sie für ihre Raketen benötigen, und auch Boeing kauft spezielle Legierungen für seine Flugzeuge hier ein. Andere Länder bekommen Schwierigkeiten, wenn sie trotz irgendwelcher Sanktionen mit einem Land wirtschaftliche Beziehungen pflegen. Da komme ich ins Grübeln.

das Kosmosmuseum mit der Sojus- Rakete
relativ kleine, moderne Wohnblocks beim Kosmosmuseum


Nach diesem 5- Minutenhalt fahren wir zum Monument des Ruhmes, das insgesamt 53 Meter hoch ist. In der Hand hält der Arbeiter stilisierte Flügel, als Zeichen für die Beiträge der Stadt zur Entwicklung leistungsstarker Flugzeuge im 2. Weltkrieg.



Mit Schautafeln und Erinnerungsfotos bereitet man sich auch hier auf den 9. Mai vor.


An der ewigen Flamme stehen 2 Schulmädchen stramm Wache, ohne sich zu rühren oder zu räkeln. Alle Achtung! Die Sonne brennt heute ziemlich stark.

Ehrenwachen an der Ewigen Flamme
Aber egal, ob man mit Blumen, ewiger Flamme, auf Namenstafeln oder mit einer riesigen Säule der unzähligen Toten gedenkt, so scheint doch nichts Erstrebenswerteres zu geben, als sein Kind in eine Uniform zu stecken, oder auf Kriegsgerät herumturnen zu lassen. Nachdenklich macht mich das schon!

Tafeln mit Namen von Kriegsopfern
es scheint eine große Auswahl an Kinderuniformen zu geben

auch eine Kirche gehört zum Platz
wunderschöner Wolgablick
 Obelisk  aus Edelstahl - das Monument des Ruhmes

Genau gegenüber, auf der anderen Strassenseite, liegt ein Park, der mir zum Ensemble "Platz des Ruhmes" zu gehören scheint, da z. B. die Wasserspiele ihre Ausrichtung ebenfalls auf den Obelisken hin haben.
Die viele Fahnen und roten Blumen stehen wie auch anderenorts noch vom 1. Mai und für den kommenden 9. Mai, das nehme ich an. Hübsch anzuschauen ist die Farbenpracht allemal!



Ich war auch da. Ein Beweisfoto muss es ab und zu geben!


Die knappe freie Zeit, die ich mir einfach genommen und die Gruppe verlassen habe, ist schnell vorbei. Schon besteigen wir an der Duma den Bus und fahren zum nächsten Besichtigungspunkt.

Duma - Regierungsgebäude von Samara

Gleich zweimal fahren wir an einem riesigen Platz vorbei, der wie so viele andere schon für den 9. Mai herausgeputzt ist. Er gilt als der größte Platz Europas, ist auch größer als der Rote Platz im Moskau. Die hier stehende größte orthodoxe Kathedrale von Samara wurde 1939 aus ideologischen Gründen wie so viele  Kirchen in die Luft gesprengt. Die Stadt hat aber noch viel mehr zu bieten, als wir in den paar Stunden sehen können.


Wir erreichen den Tschapajew- Platz mit seinen diversen historischen Gebäuden.

architektonische Besonderheiten
das eher unscheinbare Haus mit dem geheimen Stalinbunker
Der Eingang ist im Hinterhof, auf dem wir herumstehen dürfen. In der Zeit hätten wir den Bunker wahrscheinlich auch besichtigen können. Warum nicht, die Info ist mir entgangen...
In aller Heimlichkeit wurde er 1941/42 in Handarbeit errichtet. Nicht einmal die nächsten Nachbarn hätten davon etwas mitbekommen, und erst Ende der neunziger Jahre sei er der Öffentlichkeit bekannt geworden. Die einen berichten, Kriegsgefangene hätten das Werk vollbracht und seien nach getaner Arbeit erschossen worden. In anderen Berichten steht, dass die Arbeiter hoch dekoriert worden seien. Auf jeden Fall war es eine Meisterleistung und Spezialisten vom Moskauer U- Bahnbau sollen beteiligt gewesen sein. Das Erdreich sei in Handarbeit durch einen Tunnel von der Wolga aus entfernt worden, von wo aus das ganze Gebilde auch erschaffen wurde. Rund 40 Meter in der Tiefe soll der Bunker liegen. 
Im Falle einer Eroberung Moskaus durch die Deutschen sollte von hier aus weiterregiert werden. Dazu kam es aber bekanntlich nicht und Stalin soll den Bunker nie betreten haben. Es waren auch einige Botschaften nach Samara verlegt worden, ebenso waren Angehörige der Regierenden hierher in Sicherheit gebracht worden, z.B. die Verwandten Stalins.

Herumstehen beim Eingang zum Bunker
der Wachmann hütet den Eingang
Einmal die viel befahrene Strasse überquert, und schon ist man am Dramen- Theater. Erbaut wurde es aus Backstein und mit viel Stuck reich verziert. Es dominiert am Platz, der gleichzeitig ein beliebter Großparkplatz zu sein scheint.


Geht man seitlich am Theater vorbei, kann man den Blick auf die Wolga, genießen. Am gegenüberliegenden Ufer befinden sich die Schiguli- Berge, die zum Naturschutzgebiet erklärt wurden und auch der Naherholung dienen.
Am diesseitigen Ufer liegt die Brauerei am Hang das Iwerskij Frauenkloster. 





Der offizielle Teil der Stadtrundfahrt ist nun vorbei und wir haben die Wahl, zurück zum Schiff zu fahren, oder ein bisschen Freizeit auszunutzen. Natürlich will ich mich noch ein bisschen ohne Gruppengängelei bewegen und verlasse auch gleich die schöne Fussgängerzone.


Oft entdeckt man in den Seitengassen ebenso interessante Dinge. Allerdings lebt es sich hier gleich gefährlicher. Das ist keine 200 Meter von der restaurierten Fußgängerzone entfernt. Ähnliches habe ich einmal in Jekaterinburg erlebt. Damals fielen riesige spitze Eiszapfen reihenweise in der  Fußgängerzone von den Dächern.

Das zeigt der Blick nach unten.
...und da kommt es her...
Verfall ohne Ende...
Und trotzdem, wenn man ein bisschen weiter herumstöbert, entdeckt man regelrechte Kleinode aus Holz, nur eine Häuserreihe von der Strasse entfernt in einem offenen Hinterhof. Der Gesamtzustand erscheint mir auch nicht mehr optimal, aber im Abendlicht leuchtend ist das mein heutiges Highlight!


Jetzt gehe ich wieder brav auf dem Touristenpfad.








Die Richtung zum Hafen zu finden, ist nicht schwer. Ich lasse den Soldaten und die Matrjoschkas hinter mir. 





An der Wolgapromenade scheint halb Samara unterwegs zu sein.

Abendspaziergang bei schönstem Wetter
Man zeigt, was man hat!
Auch hier ist das Handyzeitalter längst angekommen
schöner geht es kaum...
egal in welche Richtung - einfach traumhaft
die Wolgatreidler 

Es gibt ein etwa 140 Jahre altes Gemälde, die "Wolgatreidler" von Ilya Repin, das er in Simbirsk (heute Uljanowsk) gemalt hat. Dem ist diese Komposition aus Bronze nachempfunden. Man hat sozusagen das Bild mit Rahmen in Bronze gestaltet und da aufgestellt, wo es hingehört, nämlich an die Wolga.


Die kleine Kapelle wacht über den Hafen. Man weiß ja nie, was so alles passiert. 
Obwohl noch gar nicht der letzte Termin zur Einschiffung gekommen ist, stehe ich mit einigen anderen vor versperrtem Zugang zum Schiff. Groß zu interessieren scheint das auf der anderen Seite des Zaunes kaum jemanden. Endlich reagiert man auf unser Gestikulieren. Die Dame schaut uns verständnislos an, geht aber dann doch zum anderen Ende des Kais und holt einen Herrn herbei. Der hatte offenbar vor 10 Minuten beschlossen abzusperren und bedeutet uns, wir hätten an anderer Stelle eintreten sollen. Kein Hinweisschild ist zu sehen, und da wo wir standen, war der Ausgang und der Weg führt nur hier direkt zum Schiffseingang. 


Schon bald verlassen wir Samara, eine der Städte der Fußballweltmeisterschaft 2018. An einem Schiff, was neben uns liegt, müssen wir uns noch vorsichtig vorbeimogeln, und dann geht es wieder raus auf den riesigen Strom.




Nach meiner liebevoll angerichteten Diät, auf die ich aber ab morgen verzichten werde, genieße ich einmal mehr die Abendstimmung an Bord.



Die Sonne ist weg, da leuchtet auch schon der Mond am Himmel.



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